Nach neun Tagen und insgesamt 1.147 Kilometern auf der Simson ist das Abenteuer geschafft. Natürlich gab es hin und wieder technische Probleme, wie ein defektes Auspuffgewinde und ein abgebrochener Kickstarter an der S50, einige verlorene Schrauben an den Schwalben sowie diverse elektrische Kuriositäten. Trotzdem haben alle vier Mopeds den Marathon nach Den Haag nicht nur bewältigt, sondern sind aus eigener Kraft auch wohlbehalten wieder zurück nach Kassel gefahren. Damit hätte Mitte der 1970er Jahren sicherlich niemand gerechnet, als die Mopeds im ostdeutschen Suhl produziert wurden und es wegen der innerdeutschen Grenze kaum eine Möglichkeit gab, nach Westen zu reisen. Schon gar nicht mit dem Moped.
Reisen mit dem Moped – Ist das eine gute Idee?
Schon bei unserem Roadtrip an die Grenze wurden wir von einem Mann in einem Vorgarten für verrückt erklärt, weil wir entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze bis an die Ostsee fahren wollten. „Wir sind damals vielleicht mal an den Badesee im Nachbarort gefahren, aber doch nicht bis an die Ostsee“, hat er uns damals erstaunt und gleichzeitig bewundernd erklärt. Dabei ist es durchaus möglich auch weitere Strecken auf einem Moped zurückzulegen, auch wenn es natürlich eher für kürzere Entfernungen entwickelt wurde. Komfortabel oder entspannend ist das allerdings nicht!
Das liegt einerseits daran, dass man mit einer Simson fast durchgehend mit Vollgas unterwegs ist, um trotz Gepäck in der Stadt mit dem Verkehr mitfließen zu können und auf Landstraßen ein möglichst kleines Verkehrshindernis darzustellen. Dementsprechend ist es auf dem Moped relativ laut, alles vibriert und je nach dem auf welcher Position man in einer Kolonne fährt, bekommt man auch einige Abgase ab. Daher lohnt es sich, genügend Abstand zu den Vorausfahrenden zu halten.
Hinzu kommt außerdem, dass sowohl die Sitzposition als auch mein Sitzpolster nicht wirklich langstreckentauglich sind: Am Ende der Tour saß ich schon nach 10 Minuten Fahrt gefühlt auf dem blanken Blech, weil das erst 46 Jahre alte Polster der Sitzbank mittlerweile so weich geworden ist, dass man das darunter liegende Blech spüren kann. Wegen meiner Gepäckrolle muss ich außerdem relativ weit vorne sitzen, was für die Beinfreiheit eher ungünstig und unbequem ist.
Ist es also keine gute Idee, mit der Simson so weite Strecken zu fahren? Doch, ist es, auf jeden Fall! Denn die Mopeds stoßen bei den meisten Menschen auf Sympathie und waren für uns schon oft ein Türöffner. Außerdem lernt man bei einer solchen Tour viel über sich selbst, seine Freundinnen und Freunde und natürlich über die Mopeds, weil man immer wieder improvisieren muss, um weiterzukommen. Das hat auch viel mit Planung, Teamgeist und Zeitmanagement zu tun, einfach weil wir die vorher gebuchten Unterkünfte auf jeder Etappe erreichen mussten und wegen der schlechten Beleuchtung nicht nachts fahren wollten.
Ein weiterer Pluspunkt ist, dass wir dank der gemächlichen Reisegeschwindigkeit wahnsinnig viel von der Landschaft gesehen haben und fast überall mit den Menschen ins Gespräch kamen. Denn auch in den Niederlanden wurden wir oft auf die Simsons angesprochen, uns wurde Hilfe bei Reparaturen am Straßenrand angeboten und wir haben sogar einen kostenlosen Kaffee bei einem begeisterten Sammler von DDR-Produkten bekommen, der uns an einer Kreuzung zur Seite gewunken hat. Insgesamt ist es also immer eine gute Idee, sich auf unkonventionellen Wegen ins Abenteuer zu stürzen, denn nur so kann man etwas besonderes abseits der üblichen Wege erleben.
Ostmopeds auf dem Weg nach Westen
Eigentlich war schon das gemeinsame Losfahren ein erstes Highlight, weil keiner von uns zu diesem Zeitpunkt damit gerechnet hat, dass die Mopeds so gut funktionieren – geschweige denn ihr Ziel erreichen. Denn nur wenige Tage vor Abfahrt haben Lulu und ich noch den Motor der gelben Schwalbe komplett zerlegt, weil die Kickstarterwelle so stark verbogen war, dass sie unten geklemmt hat. Natürlich lief das vor lauter Zeitdruck nicht reibungslos, sodass wir das Motorgehäuse nach einer Probefahrt noch ein zweites mal öffnen und einen selbsteingebauten Fehler beheben mussten. Das war wirklich eine Herausforderung. Ein weiteres Highlight des Abreisetags war außerdem die Mittagspause in Neudorf bei Diemelstadt, die wir zufällig direkt vor der Haustür einer Simson und Ost-Motorrad begeisterten Familie eingelegt haben. Natürlich mussten wir uns die Schätze aus der Scheune dann auch noch etwas genauer anschauen und Anekdoten an vergangene Pannen und Erlebnisse austauschen.
Nach der ersten erfolgreichen Etappe bis zum Möhnesee ging es anschließend ins Ruhrgebiet nach Essen, wo wir Freund:innen besucht haben. Das war definitiv ein Highlight, auch wenn ich das Ruhrgebiet wegen des wilden Verkehrs dort gerne umfahren hätte. Außerdem war es unfassbar heiß dort, was das Fahren und Navigieren zu einer echten Herausforderung gemacht hat. Am nächsten Tag haben wir die Mopeds daher schon sehr früh gesattelt, um vor der Mittagshitze aus dem Großstadtmoloch zu entkommen. Das hat bis auf eine kleine Panne mit einem verstopften Benzinfilter auch gut geklappt, sodass wir am frühen Nachmittag die Niederlande erreicht haben.
Mopedfahren in den Niederlanden
In den Niederlanden heißen 50er Mopeds „bromfiets“ oder „brommer“, was nach Brumm-Fahrrad klingt und ein erstaunlich treffender Name ist. Denn wenn die Schwalben eins richtig gut können, dann ist das brummen! Wie der Name schon suggeriert, zählen bromfiets somit zu den Fahrrädern und müssen – zumindest außerorts – Radwege benutzen. Innerorts hingegen sollten sie auf die Straße wechseln.
In der Praxis ist dieses Prinzip allerdings mehr als verwirrend, weil die Übergänge zwischen Stadt und Land meistens fließend und die Hinweisschilder, wenn überhaupt vorhanden, sehr klein sind. Wir haben daher häufig nachgefragt und auch die Einheimischen scheinen oft nicht zu wissen, welche Wege für brommer die richtigen sind. Solange man aber rücksichtsvoll unterwegs ist und sich mit den Radfahrenden arrangiert, wird man auch auf den Radwegen meistens toleriert. Und so kam es hin und wieder vor, dass wir plötzlich durch einen charmanten Stadtpark gefahren sind oder durch idyllische Wiesenlandschaften, was sich nicht nur einmal mehr als falsch anfühlte. Das war es vielleicht auch, aber es hat sich zum Glück niemand beschwert.
Überholen ist auf den engen Wegen allerdings eher schwierig. Besonders bei Radfahrgruppen muss man daher einen oder zwei Gänge runter schalten und gemächlich dahinter bleiben, bis sich eine sichere Überholmöglichkeit ergibt. Diese Fahrweise im Standgas bekommt den Simsons allerdings gar nicht gut, weshalb sie sich allmählich zu Nebelmaschinen weiterzuentwickeln schienen und die blauen Wolken der Mopeds immer größer wurden. Im Laufe der Tage wurde das immer unangenehmer, weil man Radfahrer:innen beim Überholen nur ungern in gigantische blaue Wolken hüllen möchte. Besser wurde das erst wieder in Deutschland, nachdem wir auf der Landstraße rund 30 Minuten mit Vollgas unterwegs waren und das überschüssige Öl aus dem Auspuff verbrannt war.
Zu alt für Den Haag
Bereits am Stadtrand von Den Haag sind wir auf ein merkwürdiges Verbotsschild mit einem Moped und einem beigefügten Erklärtext auf Niederländisch gestoßen. Dieses verbietet in der Umweltzone Mopeds, die vor 2010 gebaut wurden. Mit Baujahren der 1970er Jahre fallen unsere Simsons da definitiv drunter und es gibt laut Auskunft der Stadt derzeit auch keine Ausnahmegenehmigungen für Reisende. Wahrscheinlich kommen einfach nicht so viele Menschen aus dem Ausland auf die absurde Idee, mit dem Moped nach Den Haag zu fahren. Entsprechend verwirrt war auch die Person am anderen Ende der Telefonhotline der Stadt. Zwar waren einige User auf Reddit der Überzeugung, dass unsere Kennzeichen von der automatisierten Überwachung der Verbotszonen nicht erkannt werden und uns entsprechend auch nichts passieren könne, allerdings haben wir uns trotzdem dazu entschieden zu parken und mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Stadt zu fahren.
Denn auch wenn wir mit deutschen Kennzeichen zwar unter dem Radar geflogen wären, ist es wegen des starken Qualms mehr als offensichtlich, dass wir in einer Umweltzone nichts verloren haben. Zumal ich die Idee von emissionsarmen Städten eigentlich gut und unterstützenswert finde. Außerdem ist Den Haag eine relativ große Stadt mit wirrem Verkehr und rasenden Lieferdiensten, die mit ihren brommern skrupellos über die Radwege heizen. Wieso fast alle brommer hier auf den Radwegen unterwegs sind, ist mir übrigens nach wie vor ein Rätsel. Denn eigentlich gehören 50er Mopeds in Städten doch auf die Straße? Aber vielleicht ist es auch gar nicht so schlecht langsame Mopeds vom Autoverkehr zu trennen.
Ohne Pannen geht es nicht
Auch wenn Pannen eigentlich nie schön sind und sie immer zu den ungelegensten Zeitpunkten passieren, gehören sie bei einer solchen Reise doch irgendwie dazu. So war es auch dieses mal und trotz guter Vorbereitung hatten wir einige größere Ausfälle. Der schwerwiegendste war definitiv ein defektes Gewinde am Auspuff, wodurch sich dieser nicht mehr richtig am Zylinder fixieren ließ und der Krümmer auf der Straße lag. Glücklicherweise ist uns das kurz vor Kinderdijk direkt vor dem Haus eines DJs passiert, der in seinem Hinterhof eine große Werkstatt hat und uns mit allerhand Werkzeug und Material versorgen konnte. So ließ sich das Gewinde provisorisch mit Teflonband und Draht reparieren, was erstaunlicherweise noch rund 700 Kilometer bis zurück in die Heimat gehalten hat.
Kurz vor Münster kam es mit einem abgebrochenen Kickstarter-Hebel an der S50 zu einer weiteren Panne, für die wir zunächst keine Lösung hatten. Denn obwohl wir immer sehr viele Ersatzteile dabei haben, gehört ein Kickstarter bisher nicht zu unserem Sortiment. Aber auch hier hatten wir wieder Glück im Unglück: Eine kurze Internetrecherche ergab nämlich, dass wir nur wenige hundert Meter entfernt von einer Simsonwerkstatt standen und uns der Betreiber auch an einem Sonntag mit einem neuen Teil geholfen hat. Vielen Dank dafür!
Abgesehen von diesen größeren Problemen gab es nur kleinere Ausfälle, die fast schon zum Alltagsgeschäft gehören, wenn man mit Oldtimern unterwegs ist: Defekte Lampen, verstopfte Benzinfilter, kuriose Elektrikfehler und natürlich lose und verlorengegangene Schrauben. Insgesamt also nichts, was sich nicht mit wenigen Handgriffen beheben lässt. Schmutzige Hände hatte ich aber trotzdem den ganzen Tag und der alte Spruch aus Ostdeutschland hat sich auch dieses mal wieder bewahrheitet: „Mit einer Simson kommt man immer an, die Frage ist nur wie und wann!“.
Genau wie der Roadtrip an die Grenze und Auf nach Süden war unsere Tour Den Haag insgesamt also ein echtes Abenteuer und wird noch lange im Gedächtnis bleiben. Denn wir haben wieder viel gesehen, interessante Orte besucht, Fotos und Videos gemacht und uns von Notlösung zu Notlösung gehangelt.